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Hobby-Imker in Lu: Wilde Raubtiere und schmerzhaftes Lehrgeld

Aktualisiert: 22. Dez. 2022

Ivan Renner ist 30 Jahre alt, arbeitet als Projektmanager, spielt gerne Fußball – und macht in seiner Freizeit Honig in Ludwigshafen. „Eine Familientradition aus alten Zeiten, die nach Deutschland gebracht wurde“, sagt er. Warum Ivan die Tradition aufrecht erhält, obwohl er selbst keinen Honig isst. Wie viel Aufwand er betreibt, warum ihm der Respekt vor den Tieren so wichtig und der Honig im Supermarkt „Schrott“ ist. Eine Geschichte über Bienen-Bedürfnisse, Bienen-Pflege und Lehrgeld in Form von Schmerzen.


von David Schramm


Dass Ivan Imker ist wurde mir erstmals bewusst, als ich ihn irgendwann Ende 2019 und Anfang 2020 auf Werbeplakaten der Mannheimer Abendakademie mit dem Slogan „Ich bin ein AAkademiker“ sah. Auf dem Bild hält er eine große Bienenwabe vor sich, er schaut entschlossen in die Kamera und um ihn herum schwirren etliche Bienchen. Ein tolles und witziges Bild. Auf Instagram fielen mir seine Imkerfotos auf. An diesem sonnigen Samstag im Mai bin ich nun auf seinem Grundstück, um mich mit ihm über das Imkern zu unterhalten und mir alles genauer anzuschauen.


„Geh besser aus der Einflugschneise raus“, sagt Ivan zu mir, als wir uns den Brutkästen nähern. Besser ist es, denn es herrscht reger Betrieb auf dem Grundstück nahe der Blies. Die Bienen rasen summend an meinem Kopf vorbei, um die kostbaren Pollen nach Hause zu bringen oder verlassen ihren Bau, um mehr Nahrung zu sammeln. Ivan hockt sich lässig neben den Bienenstock, ich mache Fotos.


Ivan mit einem seiner zwei Bienenstöcke. Bild: Schramm
„Die Imkerei ist mein Kontakt zur Natur“

Ich spüre schnell, dass Ivan Sicherheit im Umgang mit den Tieren ausstrahlt. Die Imkerei hat in seiner Familie Tradition und er ist schon sehr lange dabei, obwohl er erst 30 Jahre alt ist. „Mein Onkel war in Kasachstan schon Hobby-Imker und fing an, mir das Imkern beizubringen als ich etwa zehn Jahre alt war.“ Vor 15 Jahren pachtete sein Onkel dieses überschaubare Grundstück. Ivan lässt hier heute zwei Bienenvölker Pollen sammeln und Nektar produzieren. Die italienischen Bienenvölker hat er online im Fachhandel gekauft, das sei so schonend wie möglich für die Tiere und durchaus üblich. Hier auf dem Grundstück stehen Schuppen und ein alter Bauwagen, in denen Ivan Materialien aufbewahrt oder den Honig schleudert. Für einen Laien wie mich sieht das alles nach optimalen Bedingungen aus: Auf dem Grundstück stehen Kirsch-, Apfel- und andere Bäume, überall blüht es, im direkten Umfeld ist viel Natur mit Feldern, Pflanzen und Blumen.


„Ich gehe nicht wandern oder so. Die Imkerei ist mein Kontakt zur Natur“, sagt Ivan, der den Aufwand für überschaubar hält: „Wie viel zu tun ist, hängt immer von der Jahreszeit ab.“ Im Frühling müsse er einiges vorbereiten, im Sommer könne er dann aber das meiste laufen lassen und er greift nur ein, wenn es sein muss, es beispielsweise lange sehr heiß ist. Ivan ist regelmäßig am Wochenende hier und manchmal auch unter der Woche nach der Arbeit. Wenn bei der Ernte viel zu tun ist, hilft sein Cousin aus.


Im Sommer läuft die Produktion auf Hochbetrieb. Bild: privat
Honig statt Zucker

„2021 war ein schlechtes Jahr. Der Sommer war relativ kalt, es hat viel geregnet. Daher fiel die Ernte eher gering aus“, sagt er. Es habe aber auch schon Jahre gegeben, in denen er den gewonnenen Honig auf 100 bis 150 Kilogramm schätzt. „Ich wiege den Honig nicht“, erklärt Ivan. Die Ernte teilt er unter Familie und Freunden auf, selbst verzichtet er aber. „Als Kind bin ich übersättigt worden. In Kasachstan war Zucker ein kostbares Gut und davon hatten wir nicht viel. Weil mein Onkel auch Hobby-Imker war, haben wir schlichtweg zu viel Honig zu essen bekommen“, erklärt er. „Beim Schleudern oder Abkippen wurde mir lange Zeit übel, wenn ich den Geruch in die Nase bekam.“ Das habe ihn aber nie vom Honigmachen abgehalten. Mittlerweile ist es besser, er probiert seinen Honig zumindest.


Die Vorratskammern sind gut gefüllt. Bild: privat
Erfassung von Hobby-Imkern schwierig

Ivan ist einer von vielen Hobby-Imkern in Deutschland. Doch wie viele Menschen genau Bienen halten, ist nicht bekannt. „Nicht jeder ist in einem Verband oder Verein organisiert und kann deshalb auch nicht erfasst werden“, sagt Thomas Hock vom Imkerverband Rheinland-Pfalz. Es gibt etwa 6000 Imker im Bundesland, in dieser Schätzung sind auch Hobby-Imker einkalkuliert, teilt er mit. Der Deutsche Imkerbund schätzt die Zahl der organisierten Imker bundesweit auf 120 000 bis 130 000. Hierbei werden die Hobby-Imker also nicht beachtet. „Im Gegensatz zu anderen Bundesländern gibt es in Rheinland-Pfalz keinen Imkerführerschein oder ähnliches. Das wäre eine Möglichkeit, auch Hobby-Imker besser zu erfassen“, sagt Hock.


„Eine Biene ist ein wildes Raubtier. Es ist nicht so, wie eine Katze zu füttern.“

Hock empfiehlt Interessierten, einen Kurs zu besuchen, um zu erfahren, was bei der Imkerei zu beachten ist. Es gibt viele Regeln, an die sich die Personen halten sollten, wie eine Meldung beim Veterinäramt und bei der Tierseuchenkasse. „Man darf nicht vergessen, eine Biene ist ein wildes Raubtier. Es ist nicht so, wie eine Katze zu füttern“, sagt der 51-Jährige. Und doch müsse ein Imker die Biene hegen und pflegen können: „Die Tiere haben Bedürfnisse, werden krank, brauchen ab und an Futter und wollen schwärmen – also sich vermehren. Die Biene lässt sich aber nicht domestizieren.“


„Du musst Dir die Waben ganz genau anschauen, ob Sachen drin sind, die da nicht reingehören. Irgendein Pilz oder bestimmte Milben können alles zerstören“, berichtet Ivan. Ein Blick auf die Königin sei immer sehr wichtig, denn nur sie legt Eier und ohne sie stirbt das Volk. „Bienen brauchen Pflege, aber dabei ist es wichtig, nicht zu sehr in die Natur einzugreifen“, ist er überzeugt. „Ein Kind muss man an die Hand nehmen, aber wenn man ihm alles abnimmt, wird es nicht viel lernen. So ist es bei Bienen auch.“


Volle Montur trägt Ivan nicht immer: "Dann darf man sich auch nicht über Stiche beschweren", weiß er aus Erfahrung. Bild: privat
„Wenn Du noch weißt, wie oft Du schon gestochen wurdest, dann bist Du kein Imker“

In 20 Jahren Imkerei hat Ivan viel Lehrgeld gezahlt. „Wie oft ich insgesamt schon gestochen wurde, kann ich nicht sagen. An einem Tag waren es einmal 25 Stiche.“ Er habe an dem Tag zuerst den Rasen gemacht und Pollen aufgescheucht. „Damit war ich für die Bienen eine laufende Blüte. Es war keine gute Idee, zu sagen, ‚komm ich schau mal rein, was da so läuft‘. Und dann hat es mich richtig erwischt.“ Er habe ein paar Schwellungen gehabt, aber sonst nicht darauf reagiert. „Gestochen werden gehört dazu. Wenn Du noch weißt, wie oft Du schon gestochen wurdest, dann bist Du kein Imker“, sagt Ivan und betont:

„Das Wichtigste ist, Respekt vor den Tieren zu haben, denn sie werden niemals dein Untertan sein.“

Video: privat


Eine gute Schutzausrüstung sei genauso wichtig, wie ruhig zu bleiben und hektische Bewegungen zu vermeiden – auch wenn die Biene direkt am Ohr summt. „Man muss auch eine Leidenschaft dafür mitbringen. Es ist kein Hobby, das Dich berühmt macht oder irgendwo hinbringt“, sagt Ivan. „Ich persönlich kann dabei sehr gut abschalten.“


„Wenn ein Volk stirbt, nimmt mich das schon mit“

„Wir begrüßen es, wenn jemand in seiner Freizeit imkert, denn es schafft ein Bewusstsein für die Natur“, sagt Hock vom Imkerverband. Jeder, der sich damit beschäftigt, bekomme zwangsläufig einen anderen Blick für die Themen Umwelt-, Arten- und Klimaschutz. „Ich kam auch so zur Imkerei, als ich mich irgendwann fragte, warum denn in meinem Kirschbaum keine Bienen sind – und warum es später keine Kirschen gab“, erzählt er.


„Über das Leben der Biene ist vielleicht 5 % Prozent bekannt. Ich finde es sehr schade, dass in Deutschland nicht mehr in die Forschung zum Thema Bienen und Artensterben investiert wird. Leider gibt es Leute, die das gar nicht wissen wollen“, sagt Hock. So hätten beispielsweise der übermäßige Pestizideinsatz und die Pestizid-Notfallzulassungen einen entscheidenden Anteil am Artensterben. Die Varroamilbe wurde in den 70er Jahren aus Ostasien nach Deutschland importiert und macht einheimischen Bienen große Probleme, weil sie sich in der Brut einlagern: „Asiatische Bienen können mit diesen Parasiten leben, europäische nicht. Mit der Globalisierung kommen immer mehr neue Arten hier an und verändern die Umwelt. Lebensräume werden vernichtet und zu Nutzflächen gemacht.“


„Wenn ein Volk stirbt, nimmt mich das schon mit. Ich glaube, dass jeder Imker diese Erfahrung irgendwann machen muss“, berichtet Ivan. Es bedrückte ihn, Verantwortung für die Tiere übernommen zu haben und nichts tun zu können, als die Tiere erkrankten und schließlich verendeten.

So soll es sein: gesunde Bienen in einer gesunden Wabe. Bild: privat
Kontinuierliches Wachstum seit zehn Jahren

Noch in den 1960er Jahren gab es in Deutschland etwa zwei Millionen Bienenvölker, heute sind es noch halb so viele oder weniger, erklärt Thomas Hock. Er zeigt aber auch einen deutlich positiven Trend auf:

„Es ist erfreulich, dass wir in den vergangenen zehn Jahren ein kontinuierliches Wachstum an Imkern, Bienenvölkern und Organisationen verzeichnen.“

Umwelt- und Naturschutz seien mittlerweile große politische Themen, die von den Medien in die Breite getragen werden.


"Ich bin ein AAkademiker" - Ivan auf Werbeschildern im Mannheimer Stadtgebiet

Ivan und sein ungewöhnliches Hobby wurden durch eine Werbeaktion der Mannheimer Abendakademie in die Öffentlichkeit getragen. Er belegte dort vor ein paar Jahren einen Spanisch-Kurs. Zum 120-jährigen Jubiläum suchte die Abendakademie Gesichter aus aller Welt für ihre Kampagne. „Ich habe mich beworben und gleich erzählt, dass ich Imker bin“, erzählt Ivan. Es gab ein Fotoshooting auf dem Grundstück. Ein halbes Jahr später habe sich die Marketingabteilung noch einmal gemeldet. Zum neuen Semester sollte eine Werbekampagne zum neuen Angebot starten, das Thema waren Bienen – und sein Foto sollte das Bild der Kampagne sein. „Wem würde es nicht gefallen, wenn sein Gesicht in ganz Mannheim hängt, dachte ich mir. Ich fand das lustig und habe zugestimmt“, erinnert er sich. Daraufhin sei er von vielen Bekannten angesprochen worden. „Viele wussten nicht, dass Imkerei mein Hobby ist.“


Werbekampagne der Abendakademie. Im Hintergrund der Mannheimer Wasserturm. Bild: privat
„Ich könnte hier tonnenweise Honig haben…“

„Honig aus dem Supermarkt ist einfach Schrott! Wenn man den eine Zeitlang stehen lässt, ist eine Zuckerschicht drauf – das spricht für schlechten Honig. Ich könnte hier tonnenweise Honig haben, wenn ich Kanister mit Zuckerwasser aufstellen würde. Die Bienen könnten sich da bedienen, sie müssten nicht mehr zu den Blüten fliegen.“ Dabei handelte es sich aber lediglich um eine Umwandlung von Zucker durch die Bienen.

„Es wäre viel besser, wenn die Menschen nicht den Honig von großen Herstellern, im schlimmsten Fall auch noch in der Plastikflasche, kaufen würden."

Im Glas könne Honig über Jahre aufbewahrt werden, ohne seine Struktur zu verändern und Fremdstoffe aufzunehmen. Es sei einfach, im Internet regionale Imker zu finden, manche Supermärkte bieten deren Honig an.


Diese Wabe hat erstmal ausgedient. Bild: privat

Ivan würde sich auch freuen, wenn noch mehr Menschen ein Bewusstsein für die Bedeutung der Insekten entwickelten. „Die Samen von Wildblumen kann man für kleines Geld kaufen und auch in der Stadt im Garten oder auf dem Balkon pflanzen. Darüber freuen sich die Bienen“, sagt er. Selbst bei einem betonierten Vorgarten sei es möglich, einen Blumenkasten hinzustellen. Angst vor Bienen zu haben, ist für ihn absolut überflüssig. „Mit dem Stich stirbt die Biene, es ist also ihre letzte Option und sie sticht nur, wenn sie keinen anderen Ausweg sieht. Das darf man nicht vergessen.“


Ein so großes Verständnis, dass Verbote überflüssig werden

„Viele Menschen wissen nicht, dass die Natur wie wir sie kennen in einer Co-Evolution zwischen Bienen und Pflanzen entstanden ist“, sagt Thomas Hock vom Imkerverband. Bienen seien schließlich zwischen 60 und 100 Millionen Jahre alt und spielten eine sehr wichtige Rolle in der Entwicklung der Natur. „Wir sollten uns den Themen Entstehung und Zerstörung mehr widmen, es betrifft ja zwangsläufig jeden“, plädiert er.


„Ein Imkerführerschein, den man beispielsweise an einem Wochenende machen könnte, wäre super“, sagt Ivan, als ich ihm von der Idee erzähle. Er habe an der Uni eine Veranstaltung zum Thema Bienen besucht, aber nichts Neues erfahren. „Ich finde es wichtig, der Imkerei eine Plattform zu geben, eine zentrale Stelle würde den Einstieg für Interessierte erleichtern. Wenn man den Leuten richtig zeigt, wie die Imkerei funktioniert, weckt das wahrscheinlich ein so großes Verständnis für Ökologie und Nachhaltigkeit, dass Verbote automatisch überflüssig werden.“


Ivan wirkt nicht so, als würde er auch nur eine Sekunde daran denken, jemals mit dem Imkern aufzuhören. „Dabei besteht durchaus eine Verbindung zu meinem mittlerweile verstorbenen Onkel und ich führe sein Erbe sehr gerne fort“, sagte er. „Es ist ein schönes Gefühl, die Tradition weiterzuführen und den Leuten, die mir etwas bedeuten, mit dem Honig eine kleine Freude zu machen.“


Die Biene verabschiedet sich in den Feierabend. So long! Bild: Karl Schramm


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